Unsere Gruppe Anti Atom Berlin beschäftigt sich nicht nur mit den Gefahren der Atomenergie und dem Atom-Ausstieg, sondern auch mit der Entwicklung der Alternativen, mit den Grundlagen einer zukunfsorientierten Energiepolitik.
Wie ist der gegenwärtige Stand?
(Ich beschränke mich im Folgenden auf die Elektroenergieversorgung. Der Wärmemarkt ist ein anderes, trauriges Kapitel für sich.)
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung (also einschließlich Netzverluste und Eigenverbrauch der Kraftwerke) stieg in den letzten 13 Jahren von 3,2 auf 25,8%. Da ein Teil der erneuerbaren Energie dezentral und verbrauchsnah produziert wird, liegt ihr Anteil an der Bedarfsdeckung sogar noch höher, nämlich bei 27,3%. (Nach offiziellen Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums.)
Das ist ein gewaltiger Erfolg. Er wurde möglich durch eine langjährige, planbare Förderung der Erneuerbaren mit Hilfe des Erneuerbare-Energie-Gesetzes und, nicht zu vergessen, durch das Engagement Tausender. Die Bewegung wuchs so rasant, dass sie beinahe in Konflikt geriet mit der nicht Schritt haltenden Entwicklung der notwendigen technischen Mittel.
- Stichwort: Speichertechnologie.
- Stichwort: Netzservices.
- Stichwort: Intelligentes Verbrauchsmanagement.
Und was tat die Bundesregierung in dieser Situation? Statt die tatsächlichen Probleme anzugehen und an zukunftsfähigen Lösungen zu arbeiten, konzentrierte sie sich einseitig auf die monetäre Seite. Die Subventionierung der erneuerbaren Energien bezahlen wir alle mit unserer Stromrechnung in Form der EEG-Umlage – im letzten Jahr gut sechs Cent pro Kilowattstunde. Das war der Ausgangspunkt für eine regelrechte Hetzkampagne gegen den Ausbau erneuerbarer Energien. Unter dem Vorwand, die Kosten zu begrenzen, in Wirklichkeit aber, um den Energiekonzernen weiter hohe Profite zu sichern, wurde das Wachstum der erneuerbaren Energien gesetzlich gedeckelt und in vielfältiger anderer Weise behindert.
Diese Politik hat bereits eine dicke Bremsspur hinterlassen. In den letzten zwei Jahren ist das Wachstum der Erneuerbaren schon abgeflacht. Die Solarstrombranche ist praktisch ausgebremst. In der Windstrombranche gab es 2015 noch einmal vor dem Wirksamwerden verschlechterter Bedingungen einen kleinen Schub, man könnte auch sagen: eine Torschlusspanik. Auf der anderen Seite haben Braunkohle- und sogar Atomstrom im vergangenen Jahr noch einmal leicht zugelegt – insbesondere zu Lasten der Gaskraftwerke, die als flexible, ökologisch nicht ganz so schlimme Technologie eine sinnvolle Ergänzung zu den Erneuerbaren in der Übergangszeit bilden könnten.
Herr Gabriel, das ist eine Sackgasse!
Natürlich kosten die erneuerbaren Energien Geld, aber konventionelle Energien sind noch viel teurer. Während die Zusatzkosten der erneuerbaren Energien für jeden nachvollziehbar in der Stromrechnung auftauchen, sind die Kosten von Strom aus Kohle und Atomkraft versteckt: Steuervergünstigungen, Umweltschäden, Subventionen, von der Allgemeinheit zu tragende Kosten für die Müllentsorgung, Atomaufsicht, Katastrophenschutz usw. Würde man diese versteckten Kosten, die wir größtenteils über unsere Steuern begleichen, in eine „Konventionelle Energien-Umlage" stecken, dann wären das nach Berechnungen des „Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft" Ende 2014 schon 10,6 Cent pro Kilowattstunde (und in naher Zukunft bedeutend mehr), also etwa doppelt so viel wie die EEG-Umlage.
Das zeigt: Die Erneuerbaren sind heute schon günstiger als die konventionellen Energien, wenn man alle Kosten einbezieht. Die wirtschaftlichste Lösung zur Kostenbegrenzung wäre es also, die erneuerbaren Energien schnellstmöglich auszubauen und die technischen Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Immer, wenn man Politiker mit solchen Fakten konfrontiert, verweisen diese gebetsmühlenartig auf ein famoses marktwirtschaftliches Instrument, um die Nebenkosten der konventionellen Energien auf die Stromrechnung zu bekommen, den Emissionshandel. Jede Tonne CO2, die in die Luft geblasen wird, soll Geld kosten und so zum Beispiel den Kohlestrom verteuern. Leider funktioniert das nicht. Warum? Am Anfang warf man eine feste Zahl von CO2-Zertifikaten auf den Markt. Doch die zertifizierte Menge wurde bald nicht mehr benötigt, wodurch der Preis ins Bodenlose fiel. Nach drei Jahren europaweiter Diskussion auf allen Ebenen wurde schließlich eine umständlich ausgehandelte, feste Menge von CO2-Zertifikaten vom Markt genommen. Wieder der gleiche Fehler wie am Anfang! Die Mindestforderung muss doch sein: So viel CO2, wie durch den Ausbau erneuerbarer, CO2-sparender Quellen nicht mehr benötigt wird, muss zeitnah aus der Zertifikatesumme verschwinden. (Dann hätten wir erst einmal Marktstabilität, Sparanreize müssten noch dazu kommen.) Doch das ist mit den derzeitigen Mechanismen in der Europäischen Union nicht zu machen. Ich erhoffe nichts mehr von einer Reform des Emissionshandels. Zu langsam und schwerfällig sind politische Entscheidungen.
Auf der anderen Seite bildet sich der Strompreis an einem Spotmarkt, also in Sekunden. Auch das ist Irrsinn. Elektroenergie ist ein Produkt, das einerseits zur Daseinsvorsorge gehört, langfristige Investitionen verlangt und an eine Netzinfrastruktur gebunden ist. Andererseits sind die verschiedenen, aber gleichzeitig notwendigen Technologien der Energieerzeugung so verschieden in ihrem Langzeit- und Kurzzeitverhalten, dass mit einem sekundenweisen Vergleich niemals Preisgerechtigkeit hergestellt werden kann.
Was ist also zu fordern?
Verbindliche Ziele der Energiewende müssen gesetzlich festgeschrieben werden. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, den Übergang zur hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien bis 2050 bei gleichzeitiger Reduzierung des Bedarfs um mindestens 20% als Staatsziel festzuschreiben.
Energiepreise müssen so gebildet und gegebenenfalls staatlich reguliert werden, dass Anreize in Richtung Energiewende geschaffen werden und alle Marktteilnehmer, die in die richtige Richtung wirken, gleichermaßen mit diesen Preisen zurechtkommen.
Der Zubau auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien muss fortgesetzt werden – im Einklang mit dem zu verändernden Preissystem, nicht starr, sondern durchaus technologisch vorwärtstreibend, aber ohne administrative Beschränkungen und unter Setzung vorteilhafter Rahmenbedingungen. So ist zum Beispiel der Einspeisevorrang der Erneuerbaren in Zukunft wieder uneingeschränkt zu sichern.
Die staatliche Förderung ist in Zukunft zunehmend zu konzentrieren auf
- Energieeffizienz (die beste Energie ist die, die nicht produziert werden muss),
- Speichertechnologien (sowohl dezentrale als auch regionale),
- Netzservices (Sicherung der Netzstabilität unabhängig von Großkraftwerken, zum Beispiel mit Hilfe neuer Steuerungskonzepte – Stichworte: virtuelle oder Kombikraftwerke – bei möglichst wenig Neubautrassen),
- intelligentes Verbrauchsmanagement (etwas, worüber oft geredet wird, was aber bisher kaum mit marktfähigen Produkten untersetzt ist).
Die Energiewende muss eine dezentrale Bürgerenergiewende bleiben. Wir, überall im Land, wollen und werden die Energiewende nicht Konzernen oder Hochtechnologiefirmen überlassen. Die Technik gibt es her, und wir werden es tun.
Das politische Umfeld macht es uns nicht gerade leicht. Ich glaube, wir durchleben im Moment eine energiepolitisch reaktionäre Zeit. Weltweit versucht die Atomenergie wieder auf die Beine zu kommen. Es gibt Pläne zum Bau einer großen Zahl neuer Atomkraftwerke, insbesondere in aufstrebenden Volkswirtschaften wie Indien. Besonders traurig machen mich die atomaren Pläne in der Region Ecuador, Bolivien, Venezuela und Cuba. In Europa sollen neue Atomkraftwerke von Großbritanien bis Polen mit EU-Mitteln gefördert werden. Das kann ich nur noch als Frechheit bezeichnen.
In Japan besteht die akute Gefahr, dass mehrere still stehende Atomreaktoren wieder angefahren werden sollen. Und das, obwohl auch in Japan in den letzten Jahren die erneuerbaren Energien einen Riesenschritt nach vorn gemacht haben – trotzt der gegenüber Deutschland wesentlich schlechteren Rahmenbedingungen.
Wir dürfen deshalb nicht nachlassen, dem gefährlichen atomaren Wahnsinn mit unverminderter Kraft entgegenzutreten.